Zahlen – Daten – Fakten #1

Hin und wieder stolpern wir in den Medien oder (Fach-) Gesprächen über ominöse, manchmal unerklärliche Zahlen, die wir so gar nicht mit unseren Erfahrungen aus dem Alltag in Einklang bringen können. Woher stammen diese Fakten, was bedeuten die Zahlen und wie sind diese zu deuten? In der neuen Reihe „Zahlen – Daten – Fakten“ nehmen wir verschiedene solcher Beispiele auf und erläutern diese anhand verschiedener Beispiele.
Sozialbericht 2019 – Und für sowas werden unsere Steuergelder verwendet?
Ja, auch für solche Berichte werden ihre Steuergelder verwendet und das aus gutem Grund. Seit Anfang der 00er-Jahre, aufgrund eines Postulats von ehemaligem NR Stéphane Rossini (2002), wird pro Legislatur ein Sozialbericht vom Bundesamt für Statistik (BFS) veröffentlicht. Der Bericht dient dazu, die Entwicklungen und Rahmenbedingungen der Schweizer Sozialpolitik besser zu verstehen. Solidarität und die Bekämpfung von Ungleichheit sind die zentralen Pfeiler der Sozialpolitik. Sie bündelt Massnahmen, die die Verschlechterung der Lebensbedingungen der Menschen verhindern und von benachteiligten Gruppen verbessern soll. Die für den Bericht wichtigsten Indikatoren sollen folgende Ziele erfüllen:
- Die ökonomische und soziodemografische Veränderungen und Lebensbedingungen der Schweizer Bevölkerung abbilden.
- Die wichtigsten sozialpolitischen Entwicklungen aufzeigen.
- Bewusst machen, welche Personen das höchste Risiko sozialer Ausgrenzung tragen.
Für uns ist vor allem der letzte Punkt interessant und wird im Fokus dieses Beitrags stehen.
Seit vielen Jahren steht die Schweizer Sozialpolitik vor enormen Herausforderungen in Sachen Finanzierung des Sozialversicherungssystems sowie den Risiken wirtschaftlicher und sozialer Umwälzungen (z. B. demografischer Wandel, Veränderungen am Arbeitsmarkt oder Vereinbarkeit von Beruf und Familie). Diese Problematik sollte man immer im Hinterkopf behalten, auch wenn wir in unserem Fall nur einen kleinen Ausschnitt, den der die Einelternfamilien betrifft, betrachten.
Familienkonstellation (vgl. Sozialbericht Seite 16)
- Seit 1990 kontinuierlich steigende Anzahl Einelternhaushalte, Zahl der Scheidungen stabil
- Einelternhaushalte nehmen zu, aber bleiben weiterhin in der Minderheit
- Seit 1990 Zahl der Einelternhaushalte um 43,3 % gestiegen (vgl. Abb. 1)
- Zahl Einelternhaushalte mit Kindern unter 25 Jahren sogar um mehr als 50 % gestiegen
- Einelternhaushalte mit Kindern unter 25 Jahren machen 4,5 % aller Haushalte aus, 17.1 % der Haushalte davon sind Väter mit Kind(ern)

Lebensbedingungen (vgl. Sozialbericht Seite 18)
- Erwerbstätigkeit bleibt Hauptquelle der Haushaltseinkommen
- Verfügbare Einkommen Einelternhaushalte Fr. 6183.-, im Vergleich Paarhaushalte mit Kindern Fr. 9736.-
- Mit Ausanhme Einelternhaushalte, 90 % des Bruttoeinkommens aus Erwerbsarbeit und davon 29 % für obligatorische Ausgaben (Steuern, Sozialversicherungsbeiträge, Krankenkassenprämien); Einelternfamilien 27 %, aufgrund tendenziell tieferer Einkommen
- höhere Sozialtransfers und monetäre Transfereinkommen aus anderen Haushalten bei Einelternfamilien zu verzeichnen
- einkommensschwächste Gruppe: u. a. Einelternfamilien, die am wenigsten Sparpotenzial sowie Zufriedenheit mit finanzieller Situation aufweisen

Abb. 2 (vgl. Sozialbericht Seite 19)

Wohnsituation
- 1/6 Einelternhaushalte leben in einer überbelegten Wohnung
- Einkommens-/Familiensituation, Bildungsniveau, Herkunft ausschlaggebend
- Überdurchschnittlich viele Personen aus einkommensschwächsten 20 % der Bevölkerung oder ohne postobligatorischen Bildungsabschluss oder ausländische Staatsangehörige
- Wohnqualität häufig problematisch, z. B. Feuchtigkeit in der Wohnung
- Unterversorgung im Wohnbereich betrifft vor allem Einkommensschwächere, Erwerbslose und Personen ausländischer Herkunft
- Betroffene Personen sind trotzdem nicht übermässig unzufrieden mit ihrer Wohnsituation
Soziales
- Einsamkeitsgefühl tendenziell in Einelternhaushalten grösseres Problem, 8-15 % betroffen (Anteil Gesamtbevölkerung 4,9 %)
- 2017: Einelternhaushalte nehmen fünfmal häufiger Sozialhilfeleistungen in Anspruch (!)
- Zwischen 2009 und 2017 ging der Anteil der laufenden Sozialhilfedossiers mit einer Bezugsdauer von weniger als einem Jahr und von 1 bis 2 Jahren zurück (42,6 auf 30 % bzw. 21,2 auf 19,1 %)
- Einelternfamilien und Paare ohne Kinder beziehen häufiger Leistungen über einen längeren Zeitraum (mehr als sechs Jahre) (20,9 bzw. 22,5 %)
- Häufigster Grund für die Beendigung des Sozialhilfebezugs: Aufnahme Erwerbstätigkeit, Wohnortwechsel, Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen
- 2017: 675 000 Personen von Einkommensarmut betroffen, davon 165 000 erwerbstätig; besonders häufig Einelternfamilien betroffen (15,5 %)

Abb. 4 (vgl. Sozialbericht Seite 57)
Fazit
Dass sind sie also die Zahlen und Fakten, die in Sachen Einelternfamilien dem Sozialbericht 2019 entnommen werden konnten. Sicherlich für Sie als Betroffene wenig Überraschendes. Für uns als SVAMV jedoch eine wichtige Arbeitsgrundlage, um unser Angebot auf die Bedürfnisse der Zielgruppe „Einelternfamilie“ anzupassen. Des Weiteren bietet dieser Bericht ebenfalls die Basis für wichtige Lobbyarbeit im Parlament in Bern. Allein das diese Zahlen bekannt sind, verändert Ihre Lebenssituation nicht. Hierfür braucht es die Arbeit engagierter Parlamentarier*innen, die sich für unsere Interessen einsetzen und mit Vorstössen die Arbeit vorantreiben.
In dieser sowie der letzten Legislatur konnten so u. a. beispielsweise folgende Sachverhalte für Einelternfamilien weiter untersucht und hoffentlich bald verbessert werden:
- Alleinerziehende an der Armutsgrenze – Forderung nach mehr Effort durch den Bund bei der Bekämpfung von Armut bei Alleinerziehenden
- Aktualisierung Armutsbericht – Ergänzungsleistungen für Einelternfamilien
- Ausgewogene Besteuerung getrenntlebender Eltern
- System der Alimentenbevorschussung verbessern
Den vollständigen Sozialbericht finden Sie hier.
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