Die wirtschaftliche Situation von Witwen und Witwern in der Schweiz 2022

Der Schlussbericht zur Studie „Die wirtschaftliche Situation von Witwen, Witwern und Waisen“, erschienen am 4. Mai 2022 zeigt, dass die Schweiz im internationalen Vergleich einen wichtigen Beitrag zur finanziellen Absicherung der Hinterlassenen mit geringen Mitteln leistet. Es stellt sich heraus, dass Haushalte bei denen Mitglieder Hinterlassenenrente erhalten und im arbeitsfähigen Alter sind, sich in derselben oder sogar leicht besseren Situation als vor der Verwitwung befinden. Erschreckend ist hingegen der Unterschied der Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation zwischen Witwern und Witwen, die auch in diesem Bereich eine hohe Diskrepanz im Bereich der Gleichstellung feststellen lassen.

Die vorliegende Studie basiert auf einer Aktualisierung und Vertiefung einer 2012 vorgenommenen Forschung zum selben Thema. Der Datensatz (WiSiER) basiert auf der Analyse der wirtschaftlichen Situation von Haushalten von Witwen, Witwern und Waisen. Ein besonderes Augenmerk wurde hierbei auf die Einkommenszusammensetzung sowie den Vergleich mit verschiedenen Referenzgruppen, die nicht von Verwitwung betroffen sind, gelegt.

Während die Verwitwung in Witwerhaushalten kaum Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation hat, sind deutliche Unterschiede bei den Witwen festzustellen. Bei den Witwen hat die Verwitwung kurzfristig erhebliche Auswirkungen auf das Haushaltseinkommen in Form einer Verringerung. Mittelfristig tritt wieder eine Verbesserung ein, das Einkommen bleibt aber meist unter dem vorherigen Niveau. Dies ist vor allem durch die unterschiedliche Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen und Männern in der Schweiz zu erklären.

„Im Allgemeinen deckt die schweizerische soziale Sicherheit den sozialen Bedarf und leistet einen wichtigen Beitrag zur finanziellen Absicherung der Hinterbliebenen mit geringen oder sehr geringen finanziellen Mitteln.“ (siehe Vorwort)

Die Anpassung der Hinterlassenenleistungen in der ersten Säule sind nach wie vor unbestritten und werden auch vom Bundesrat anerkannt. Die Hinterlassenenleistungen sollten der gesellschaftlichen Entwicklung angepasst werden. Auch das Parlament hat den Handlungsbedarf erkannt und dem Bundesrat verschiedene Aufträge erteilt.

Die Studie orientiert sich an folgenden Leitfragen:

  • Welche Risikogruppen weisen ein erhöhtes Risiko für finanzielle Prekarität im Zusammenhang mit einer Verwitwung auf? 
  • Lassen sich Entwicklungstendenzen aufzeigen, wenn die in dieser Studie durchgeführten Analysen mit der Vorgängerstudie von Wanner und Fall (2012), die auf Daten aus dem Jahr 2006 aufbaut, verglichen werden? 
  • Lassen sich bezüglich der direkten finanziellen Konsequenzen einer Verwitwung bestimmte Muster auf Haushaltsebene beobachten? 
  • Gibt es Hinweise über den Zusammenhang zwischen dem Erhalt einer Hinterlassenenrente und dem Ausüben einer Erwerbsaktivität? 

Im Vergleich zur vorherigen Studie werden neu auch Hinterbliebene, die im Konkubinat leben, berücksichtigt. Des Weiteren legt die Studie den Fokus auf die Haushaltsebene und nicht auf die des Steuersubjekts. Demnach werden verschiedene Haushaltstypen unterschieden, welche sich an den darin wohnhaften verwitweten Personen und des Bezugs von Hinterlassenenrente aus der 1. Säule orientieren. Zudem wird analog mit Referenzgruppen aus der nichtverwitweten Bevölkerung verglichen. Im Falle von Familien mit Waisen, werden diese indirekt in die Analyse miteinbezogen und mit nicht verwitweten Haushalten verglichen, was einen Rückschluss auf den Einfluss der Waisenrente zulässt.

Die Studie zeigt erfreulicherweise, dass die Absicherung von Hinterlassenen durch die Sozialversicherung bei fast allen Bevölkerungsgruppen gewährleistet ist. Haushalte im Erwerbsalter, die eine Hinterlassenenrente beziehen, sind gleich oder minimal bessergestellt als die nicht verwitwete Vergleichsgruppe. Heisst, die Hinterlassenenrente ist eine Kompensation der Einkommenseinbussen, die durch eine Verwitwung entstehen und sichert diese sogar davor. Grundsätzlich wird also die Funktion der sozialen Sicherheit zur finanziellen Absicherung von Hinterbliebenen erfüllt. Des Weiteren erfüllen sie in Einzelfällen nicht nur die Kompensation, sondern werden zu einer Art Zusatzeinkommen. Einige Haushalte profitieren von diesem System und sind sogar bessergestellt als vor der Verwitwung. Zu dieser Gruppe gehören beispielsweise verwitwete und rentenbeziehende alleinerziehende Männer im Erwerbsalter oder rentenbeziehende Paarhaushalte mit einer verwitweten Person.

Neben dem allgemeinen Kompensationseffekt lässt sich jedoch auch ein ausgeprägter geschlechterspezifischer Unterschied in Sachen finanzielle Situation erkennen. Bei Witwern hat die Verwitwung quasi keinen Einfluss auf die finanzielle Situation. Zwischen Witwern ohne Witwerrente und nichtverwitweten Männern, lassen sich keine Unterschiede aufzeigen. Deutlich anders zeichnet sich dieses Bild bei Witwen, die ein grosses Risiko haben, ohne Witwenrente in eine finanziell schlechtere Situation zu geraten. 

„Der starke Kontrast bei den finanziellen Konsequenzen zwischen verwitweten Männern und Frauen ohne Hinterlassenenrentenbezug aus der 1. Säule kann zu einem bedeutenden Masse durch geschlechterspezifische Muster bei der Erwerbsbeteiligung in der Schweiz erklärt werden: Männer arbeiten mehrheitlich in Vollzeit, während Frauen – und insbesondere Mütter – viel häufiger eine Teilzeitanstellung haben.“ (S. XVI)

Risiken um in eine finanzielle Notlage im Falle einer Verwitwung zu geraten, sind Bildung, Nationalität und Selbstständigkeit. Es lässt sich grundsätzlich festhalten, dass unabhängig davon eine Verwitwung sicher einen markanten finanziellen Einschnitt darstellt und mit einer ausgeprägten, kurzfristigen Reduktion des Haushaltseinkommens verbunden ist. Mittelfristig lässt sich eine Entspannung feststellen, das Einkommensniveau bleibt aber häufig unter dem vor der Verwitwung. Überraschend ist, dass bei Haushalten, die sich bereits vor der Verwitwung in einer prekären Situation befunden haben, die Verwitwung zu einer Verbesserung der finanziellen Situation führen kann (Reduktion der Haushaltsgrösse bei minimalen finanziellen Einbussen).

„Eine Analyse der Nettovermögen vor und nach einer Verwitwung zeigt zudem, dass sowohl bei Witwen wie auch bei Witwern ein deutlicher Vermögensanstieg von durchschnittlich 72.6 % über alle berücksichtigten Haushaltskategorien hinweg zu verzeichnen ist. Dabei bewegt sich der Anstieg für Witwen und Witwer in einem ähnlichen Rahmen und lässt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit auf das Erbe von Vermögenswerten des Ehepartners oder der Ehepartnerin zurückzuführen.“ (S. XVIII)

Im internationalen Vergleich schneidet die Schweiz mit anderen Ländern in Sachen Hinterbliebenenleistungen grosszügig ab (gemäss AHVG). Vor allem wenn man die Höhe der Rente betrachtet, die bis zu 80 % der theoretischen Altersrente betragen kann. 

„Gesamthaft fällt auch auf, dass die Hinterlassenenleistungen der AHV einen eher universalistischen Charakter haben. So werden die Leistungen der AHV bei Erfüllen der Anspruchsberechtigung unabhängig von der Höhe des vorher erzielten Einkommens der hinterbliebenen Person entrichtet.“  (S. XIX)

Wenn man von der unterschiedlichen Belastung von Witwen und Witwern in der Schweiz absieht, zeichnet sich ein zufriedenstellendes Bild der Leistungen, wobei eine Harmonisierung zu befürworten wäre. 

Quelle: https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/publikationen-und-service/forschung/forschungspublikationen.exturl.html?lang=de&lnr=06/22#pubdb 

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