Vergessene Jugendliche – Notschlafstellen schlagen Alarm

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In der Schweiz ist Armut oft verborgen. Für viele betroffene Menschen ist sie ein Tabu und sie ziehen es vor, marginalisiert zu leben, als sich als arm zu outen. Dies trifft auch auf Jugendliche zu. Viele leben in versteckter Armut und weder Mitschüler:innen noch Lehrpersonen oder andere Menschen aus ihrem Umfeld wissen Bescheid. Sie fallen durch die Maschen unseres Systems und finden sich oft in prekären Lebenslagen wieder. Jugendarmut ist ein schweizweites, gesellschaftliches Problem, das anerkannt und erforscht werden muss. 

In der Schweiz besteht kaum Bewusstsein über Schicksale von Jugendlichen wie Manuel, der mit seiner alleinerziehenden Mutter obdachlos wurde, weiterhin die Schule besuchte und lange niemandem von seinen Lebensumständen erzählte. Er fühlte nicht zugehörig und konnte sich nicht mit seinen Mitschüler:innen identifizieren – die Lebensrealitäten waren zu verschieden. Nachdem er sich seiner Lehrerin anvertraut hatte, lebte er in verschiedenen Jugendheimen und betreutem Wohnen. Manuel ist keineswegs ein Einzelfall.

Dies zeigt auch die Erfahrung des noch jungen Pilotprojektes Pluto, einer Notfallstelle für Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14-23 Jahren in der Stadt Bern. Diese existiert seit etwas mehr als einem halben Jahr und ist bereits mehr als ausgelastet: Pluto bisher von 67 verschiedenen Personen genutzt, die 1045-mal in der Unterkunft übernachteten. Während das Haus eigentlich eine Kapazität für maximal sieben Personen hat, haben etliche Male bis zu zwölf Personen dort Unterschlupf gesucht. Einige mussten abgewiesen werden. 

Ähnliche Angebote wie Pluto sind an einer Hand abzählbar: In der Schweiz gibt es noch die Notschlafstelle «Nemo» und «Schlupfhuus» in Zürich und die Notunterkunft St. Gallen, die einen Schutzraum für Jugendliche und junge Erwachsene in Krisensituationen anbieten. Alle diese Fachstellen der Jugendarbeit bestätigen einen dringenden Handlungsbedarf, die Situation der Jugendlichen anzuerkennen und appellieren an die staatlichen Behörden, spezifische Angebote zu entwickeln oder die bestehenden wenigstens (finanziell oder materiell) zu unterstützen. 

Gründe für die Obdachlosigkeit und Armut von Jugendlichen seien Migrationsrisiken, Sucht- und psychische Erkrankungen und Konflikte im Elternhaus, der Schule oder in der Ausbildung. Laut «rêves-sûrs», Vernetzungsorganisation der sozialen Arbeit in der Stadt Bern, komme es immer wieder vor, dass die Jugendlichen «im öffentlichen Raum und an unsicheren Orten und bei nicht vertrauenswürdigen Personen nächtigen». Dieser Umstand sei auf vielen Ebenen nicht vertretbar, könne aber durch niederschwellige, unbürokratische Notschlafplätze nachhaltig gelöst werden. 

Dafür braucht es Geld und die Unterstützung von den Behörden, von welchen sich in Bern niemand verantwortlich fühlt: Weder der Kanton noch die Stadt Bern bringen sich aktiv ein, sondern «beobachten das Pilotprojekt aufmerksam». Es wird sich zeigen, ob und inwiefern sich die verantwortliche Stadt Bern für eine langfristige Existenz von Pluto einsetzt. Bisher finanziert sich die Notschlafstelle durch Gelder von kirchlichen Institutionen, Stiftungsbeiträge und private Spenden, was langfristig nicht ausreicht. Die Notschlafstelle ist immer noch auf Spenden angewiesen, um Jugendlichen wie Manuel zur Seite zu stehen. 

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