Kinder erziehen​, grossziehen und betreuen – das ist schön und anstrengend und bedeutet jede Menge Arbeit​.

In unserem Jubiläumsjahr 2024 starten wir die neue Blogserie «Erfahrungen von Eineltern», in welcher wir persönliche Erfahrungen, Forderungen und Tipps von Eineltern mit euch teilen. Dieser Erfahrungsbericht erzählt schonungslos wie anstrengend es ist, echt alleinerziehend zu sein.

Kinder erziehen, grossziehen und betreuen – das ist schön und anstrengend und bedeutet jede Menge Arbeit.

Echt alleinerziehend zu sein, ist belastend. Man ist rund um die Uhr beschäftigt und kann sich mit Teilzeit- oder Stundenlohnarbeit nur ein knappes Existenzminimum erwirtschaften. Viele denken, alleinerziehend zu sein, ist selbsverschuldet. Aber glauben sie mir, die Gründe sind vielseitig und oft unvorhersehbar. Und trotzdem ist es in der Gesellschaft ein heikles Thema, da Kinderhaben als eine Art Luxus oder als reine Eigenverantwortung betrachtet wird.

Echt alleinerziehend zu sein, ist echt schwer. Tag und Nacht ist man für die Kinder verantwortlich, man hat keine Ferien und keine Freizeit. Alleinerziehende betreuen die Kinder, putzen, spielen, kochen, waschen und gehen gleichzeitig einer Erwerbstätigkeit nach. Wir sind zuständig für Betreuung, Haushalt, Erziehung und Finanzen. Da verwundert es nicht, dass es eine Herausforderung ist, trotz all diesen Lasten konzentriert einer Anstellung nachzugehen. Flexible Stellen sind immer noch rar und so kann manch eine alleinerziehende Person nicht seinem eigenen Beruf nachgehen.

In meinem Fall hatte mein Sohn Probleme, sich an den Kindergarten zu gewöhnen. Ich stand unter einem sehr grossen wirtschaftlichen Druck und hielt nicht stand. Die Konsequenz war der Bezug von Sozialhilfe. Das bedeutete aber noch mehr Druck. Für mehrere Personen Geld zu erwirtschaften und dazu ein liebevolles, fleissiges Mami zu sein, ist oft nicht möglich. Glauben Sie mir, man probiert es mit aller Kraft, doch oft endet es im Burnout. Wir alle wissen, dass sich Entlastung positiv auf die eigene Energie auswirkt. Was aber ist, wenn diese Möglichkeit nicht besteht? Natürlich merken die Kinder, dass das Mami gestresst und müde ist, dass die Kraft fehlt, sich mit grosser Aufmerksamkeit um sie zu kümmern. Können weder der zweite Elternteil, Verwandte oder Nachbarn diese Last mindern, wird der Alltag zur Last. Es gibt als Einelternfamilie so viel zu leisten.

Das Recht unterscheidet nicht, wer wirklich alles alleine macht, und wer viel Unterstützung von Verwandten oder getrennten Ehepartnern, Freunden etc. erhält. Es wird vorausgesetzt, dass alles irgendwie das Gleiche ist. Hat man nicht einen gut bezahlten und mit der Familie zu vereinbarenden Job, muss man zuerst seine Ersparnisse aufbrauchen, um Unterstützung zu erhalten. Glauben Sie mir: Dieses ist rasch aufgebraucht. Ich frage mich, wie gerecht das ist, indirekt die Person, welche doppelt arbeitet, finanziell zu bestrafen.

Echt alleinerziehend zu sein heisst: Keine Entlastungsmöglichkeiten am Abend, kein Wochenende und keine Ferien ohne Kinder, kein Wochenende, wo der andere Elternteil zu den Kindern schaut, niemand der unterstützt, wenn man selber krank ist. Viele denken, dass man die Situation selbst verschuldet hat und finden es selbstverständlich, dass man als Alleinerziehende arm ist.

Meine kinderlosen Freunde und Verwandten finden es schon anstrengend, einen Vollzeitjob auszuüben. Treffe ich sie, verstehen sie nicht, dass es mein Sohn nicht schafft, während einer Stunde ruhig zu sitzen und ein aktives Kinderprogramm einfordert. Aus meiner Sicht hat die Politik die Kleinkinderbeträge abgeschafft, um mit Druck die Alleinerziehende in der Erwerbsarbeit zu behalten. Aber können sie das überhaupt? Wenn nicht, was dann? Was, wenn man nicht die Arbeit von zuvor ausüben kann? Müssen wir die letzten Ersparnisse aufbrauchen, verarmen, uns verschulden? Mit einem Vermögen ist es attraktiver, erwerbstätig zu sein und sich beruflich weiter zu entwickeln, da man Perspektiven sieht. Auch ist es abwechslungsreicher, wenn man erwerbstätig ist und man will ja auch das Gelernte im Leben anwenden können. Der Druck bringt keiner alleinerziehenden Person etwas.

Für eine gesunde Work-Life-Balance braucht man einen Tag, um sich auszuruhen, um ohne Kind die Wohnung aufzuräumen, um eigene Termine wahrzunehmen und um die Familienadministration zu erledigen. Als Tanzlehrerin hatte ich anfangs mein Baby in die Kurse mitgenommen oder meinem Vater in die Obhut gegeben. Doch als mein Vater pflegebedürftig und mein Sohn grösser wurde, funktionierte das nicht mehr. Auch die Arbeit als Übersetzerin war nicht mehr möglich. Bei meinem Nebenjob verdiente ich zwischen CHF 1’000.- und 1’500.- im Monat. Damit kommt man nicht weit. Und dies, obwohl man täglich den Haushalt macht, die Kinder betreut und etliche Termine wahrnimmt. …

Glauben Sie mir, Betreuung zu Hause ist auch Arbeit. Doch niemand schätzt sie. Was kann einen Menschen ersetzen, der ein Kind grosszieht, erzieht und betreut? Aus meiner Sicht müsste ein betreuender Elternteil belohnt und nicht indirekt bestraft werden. Familienergänzungsleistungen verhindern nicht nur eine totale Verarmung der Alleinerziehenden, sondern geben auch Wertschätzung der unsichtbaren Arbeit.

Bei Überforderung sollte es Möglichkeiten geben, auch Miniarbeitspensen zu leisten. So bleiben Eineltern im Arbeitsleben integriert, sind vernetzt und auf dem neusten Stand. Unternehmen könnten die Leistung von Elternarbeit ähnlich wie Berufserfahrung anerkennen. Hätte man mehr Vermögen, könnte man sich bei einer Umschulung oder Weiterbildung auch mal eine Betreuung leisten. Für Kinder ist es herausfordernd, fünf Tage in der Woche von 7 bis 18 Uhr im Hort zu sein. Sie wünschen sich einen freien Nachmittag, sie wünschen sich ein Hobby, sie wünschen sich Zeit, die sie selbst gestalten können.

Meine Forderung: Die Politik muss mehr für arme Familien investieren. So sind auch „Zwei Eltern Familien“ besser geschützt. Armut übt Druck auf das Zusammenleben auf. Kinderhaben darf nicht ein Grund zur Verarmung sein und schon gar keine soziale Bestrafung. Kinder erziehen, alte oder kranke Erwachsene zu pflegen und betreuen sollte von der Gesellschaft geschätzt und wertschätzend belohnt werden. Kinder sind die Zukunft und die Basis der Menschheit. Was würden wir tun, gäbe es in unserer Gesellschaft keine Kinder mehr?

Verena Beutel

(Name auf Wunsch geändert)

Antworten