Unsere Gesellschaft baut darauf​, dass man zu zweit ist​. Beim Kinder grossziehen und beim Älterwerden​.

In unserem Jubiläumsjahr 2024 starten wir die neue Blogserie «Erfahrungen von Eineltern», in welcher wir persönliche Erfahrungen, Forderungen und Tipps von Eineltern mit euch teilen. Dieser berührende Erfahrungsbericht erzählt von Trauer, Zuversicht, Zeitmanagement und dem Druck, alles alleine auszuhalten.

Unsere Gesellschaft baut darauf, dass man zu zweit ist. Beim Kinder grossziehen und beim älter werden.

Im Sommer 2016 kam mein erstes Kind auf die Welt. Ein Stern fiel vom Himmel. Zwei Wochen später, ich hatte meinen Sohn soeben wieder zum Schlafen gelegt, hörte ich in der Küche meinen Mann zusammenbrechen. Er klagte am Tag davor über starke Kopfschmerzen. In den folgenden Tagen wurde uns der Boden unter den Füssen weggezogen. Aus heiterem Himmel wurde uns die Diagnose «bösartiger Hirntumor» vor die Füsse geworfen. Wir sprachen in den Jahren der Krankheit oft darüber, ob wir glauben, dass dieser Schlag gezielt vom Himmel kam oder durch Zufall in unsere Küche knallte. Tatsache war, dass wir diesen Weg nicht wählten, dass wir ihn uns anders vorstellten. Dieser nicht gewählte Weg geht für mich und für meine mittlerweile zwei Kinder auch nach dem Tod meines Mannes vor bald zwei Jahren weiter.

Nach dem Tod meines Mannes hatte ich den spontanen Wunsch, mich gleich in die nächste Beziehung zu stürzen. Ich hatte Angst, dass, wenn ich diese Realität annähme, sie echt und zu meinem Leben würde. Ich hatte dabei vergessen, dass ich nicht gefragt werde, sondern dass ich mich einzig und alleine in die richtige Haltung stellen kann. Die Wirklichkeit war glasklar und schon da. Ich musste meinen Geist immer wieder sorgfältig ins Vertrauen zurückholen, besonders wenn ich hören oder lesen musste, dass alleinerziehende Mütter in die Armutsfalle gerieten. Die Angst war diffus. Doch mit jedem Abhaken auf meiner langen Pendenzenliste wurde sie greifbarer und dadurch bewältigbar. Mehr und mehr entschied ich mich, mein Schicksal anzunehmen, mich in den Prozess des Wachstums zu stellen, weiterzumachen und die Haltung einzunehmen, dass ich es trotzdem schaffe.

Eine Beziehung ist noch nicht entstanden. Es ist auch nicht ganz einfach, die Tage mit Kindern und Arbeit sind randvoll. Alle freien Minuten müssen organisiert sein.

In der Zeit nach dem Tod liess ich mich krankschreiben. Die Kinder waren zu diesem Zeitpunkt vier und fünf Jahre alt. Gleichzeitig zogen wir näher an den Wohnort meiner Eltern, damit sie mich besser unterstützen können. Ich suchte in der Nähe eine neue Arbeitsstelle, damit ich als alleinerziehende Mama alles näher beieinander habe. Zeitmanagement ist ein Schlüsselwort in meinem Alltag. Durch den Jobwechsel musste ich die Pensionskasse wechseln. Sie verlangten detaillierte Angaben meines Gesundheitszustandes. Das führte dazu, dass mich die neue Pensionskasse für die nächsten fünf Jahre nur mit Vorbehalt aufnahm und ich, falls ich nochmals ausfallen würde, lebenslänglich ins Minimum fiele. Meine Rente ist ohnehin schon tief.

Dass aus dem Sozialdepartement des Bundes ein Vorschlag über ein neues Witwenrentengesetz vorgelegt wurde, welcher die Stellung von Witwen massiv verschlechtern würde, macht das Ganze im Moment nicht einfacher. Kurz vor meiner Pension hätte ich dann eine grosse finanzielle Lücke.

Der Druck, alles alleine auszuhalten, zu stemmen und für alles zu sorgen, ist gross. Es gibt keine andere Person, die mitträgt, zuhört oder ganz einfach sagt, «das kriegen wir schon hin, ich bin ja auch noch da». Ich bin froh über alles, was etwas Entlastung und Erleichterung gibt.

Manchmal schaue ich neidisch auf die Zweier- und Vierertische, wenn ich es mal in ein Restaurant schaffe. Nach einer Einladung würde ich mich manchmal gerne auf den Beifahrersitz setzen oder, wenn am Abend meine Tochter nicht einschläft, kurz die Türe schliessen und es Papa machen lassen.

Den täglichen Einkauf kann ich mittlerweile gut alleine machen oder die Kinder tun es. Das schenkt Raum zum Atmen. Zum Glück mache ich Yoga.

An die Elternabende gehe ich. An die Waldweihnachten in der Pfadi gehe ich. Die Hausaufgaben mit den Kindern mache ich. Das Essen koche ich. Die Ferien plane ich, Ferien müssen finanziell und organisatorisch gut geplant sein. Die Steuern erledige ich, das Auto bringe ich in die Garage, die Rechnungen zahle ich, die Wäsche mache ich, weinende Kinder halte ich, Geburtstage plane ich.

Das „Wir“ fehlt überall. Anerkennung, Rücksichtnahme, Verständnis gibt es wenig. Zum Abendessen werde ich nicht mehr eingeladen, da fehlt den anderen Männer das Gegenüber. Ich bin die Zvierifreundin. Es fällt mir auf, dass viele Menschen gar nicht daran denken, wie viele Dinge es am Ende sind. Kleine und nicht erwähnenswerte Dinge, in ihrer Summe füllen sie aber einen Tag. Dennoch reichen sie langfristig nicht aus, weil man immer einen Schritt zurückliegt, weil unsere Gesellschaft darauf baut, dass man zu zweit ist. Beim Kinder grossziehen und beim älter werden.

Ich möchte nicht rennen, ich möchte atmen können und dazwischen auch mal pfeifen.

Ich weiss, dass sich die nächste Türe nicht gleich wieder öffnet, wenn die eine zu geht, dass man auch nicht gerettet wird durch irgendwen, auch wenn es vielleicht Menschen gibt, die das gerne tun würden. Leider ist es so, dass man die finanziellen und emotionalen Ungerechtigkeiten als Frau mit zwei Kindern teilweise auch einfach hinnehmen muss.

Ich weiss aber auch, dass Sterne vom Himmel fallen und dass es Sterne gibt, die über uns stehen, dass sie wachen, beschützen und flüstern, «für immer, habt keine Angst, es wird zu euch geschaut».

Nadja Schönholzer
(Name auf Wunsch geändert)

 

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